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Erinnerung an den NS-Widerstandskämpfer Paul Schneider (1897-1939) // Performance von Dirk Baumanns

By Mai 24, 2021Aktuell

„Wir können nicht alle mit unseren Überlebens-Kompromissen Hitler in seiner unrechten Gewaltherrschaft bestärken. Wenigstens einige müssen ihm mit letzter Entschiedenheit widerstehen.“   Paul Schneider, Juli 1937

Schneider. Paul, Pfarrer, Als Hilfsprediger in Essen 1925, Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland

Das „Auf Anfang!“-Festival in Auen findet etwa 2,5km Luftlinie von der Dorfwüstung Pferdsfeld statt. Das kleine Hunsrückdorf wurde wie einige benachbarte Dörfer um 1980 aufgrund des Fluglärms des direkt anliegenden Natoflugplatzes aufgegeben und stellt heute einen bizarr-pittoresken „Lost Place“ dar. Dieser Ort ist aber auch mit einer ganz anderen und für uns umso wichtigeren Bedeutung aufgeladen: Es ist der Geburtsort des NS-Widerstandskämpfers Paul Schneiders, der die ersten dreizehn Jahre seines Lebens bis 1910 hier verbrachte. Der spätere wortgewaltige Pfarrer, der 1934 in den Hunsrück nach Dickenschied zurückkehrte, stellte sich vehement dem nationalsozialistischen Hitlerregime entgegen und wurde 1939 im Konzentrationslager Buchenwald von den Nazis ermordet. Mit einer Performance des international gastierenden Künstlers Dirk Baumanns (FFM) halten wir im Festjahr „2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ die Erinnerung an den NS-Widerstandskämpfer hoch!

Warum die Erinnerung an Paul Schneider wichtig ist:

Die Ideologie der Nationalsozialisten ist nicht tot, sie lebt weiter in rechtsextremen politischen Orientierungen, die unseren demokratischen Staat ablehnen und dafür eine autoritär geführte „Volksgemeinschaft“ errichten wollen. Heutige Rechtsextreme versuchen die NS-Ideologie in ein modernes Gewand zu kleiden und ihre rassistischen Positionen als Ethnopluralismus neu zu verpacken. Der Bezug zur NS-Ideologie zeigt sich zudem ganz deutlich in antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Positionen wie der Holocaustleugnung und der Verharmlosung des Nationalsozialismus. Rechtsextremisten nutzen die Rechte unserer demokratischen Grundordnung, um diese zu zerstören. Seit 1990 wurden in Deutschland mindestens 213 Menschen von rechtsmotivierten Gewalttätern getötet (1). Es ist längst nicht mehr nur von einer rechtsextremen Szene die Rede, es muss von einer Bewegung gesprochen werden. Und heute haben wir mit der AfD eine Partei im Bundestag und den Landesparlamenten, die ganz offensichtlich der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus ist! (2)(3)

IFM-Vorstand vor dem Paul-Schneider-Denkmal in Pferdsfeld mit der goldenen Rettungsdecke als Zeichen der Initiative DIE VIELEN

IFM-Vorstand vor dem Paul-Schneider-Denkmal in Pferdsfeld mit der goldenen Rettungsdecke als Zeichen der Initiative DIE VIELEN

Wir möchten mit der Erinnerung an Paul Schneider uns allen ins Gedächtnis rufen, dass wir Verantwortung dafür tragen, was um uns herum geschieht! Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft. Ein Blick in die Vergangenheit erinnert uns an den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, den Mord an Walter Lübcke, die Aufdeckung der rechtsterroristischen „Gruppe S.“, der rechtsterroristische Anschlag in Halle, die Ausschreitungen in Chemnitz, das Hannibal-Netzwerk, die NSU-Morde oder die Höcke-AfD, die zu Umsturz und Bürgerkrieg aufrief – und diese Liste ließe sich problemlos weiter fortführen. Diese Gewalttaten sowie die zunehmende Hetze, durch die Unsagbares sagbar wird und aus Worten Taten folgen lässt, muss uns aufrütteln! Wir müssen als Gesellschaft diesen Entwicklungen mit aller Kraft entgegentreten, Charakter zeigen und die unverrückbaren Positionen des Menschenrechts und der mitmenschlichen Verantwortung immer wieder verteidigen!

 

Widerrede und Widerstand Paul Schneiders gegen das NS-Regime

Die ersten Konfrontationen von Paul Schneider mit dem NS-Regime zeigten sich, als er 1932 bei einer angeforderten Stellungnahme für seine Wahl von Hindenburg statt Hitler darlegte, dass er die „heidnisch-völkischen Strömungen“ in der Hitler-Bewegung ablehne und in dieser eine „unchristliche Haltung der Bewegung gegen Altes Testament und Juden“ vorherrsche. Weiter wehrte er sich standhaft, die Hakenkreuzfahne zu grüßen und seinen Konfirmandenunterricht mit dem Hitlergruß zu beginnen und zu beenden. Auf einer Beerdigung eines Hitlerjungen in Gemünden im Jahr 1934 widersprach er der Rede des NSDAP-Kreisleiters, dass der Junge nun in den „Himmlischen Sturms Horst Wessels“ (ein verstorbener nationalsozialistischer Vorkämpfer) übergehen würde. In der Folge wurde er zum ersten Mal verhaftet, allerdings erreichten seine Gemeinden die Freilassung. 1934 und 1935 nahm er in einer Predigt Juden ausdrücklich in Schutz und appellierte die Kirchenbesucher daran, sich an der Kollekte für eine jüdische Mission im Inland zu beteiligen. 1936 äußerte er in einer Predigt Kritik an Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Nach seiner dritten Verhaftung 1937, die er im Gestapo-Gefängnis Koblenz verbrachte, wurde er aus dem Rheinland ausgewiesen. Nach seiner Freilassung kehrte er im gleichen Jahr trotz offiziellem Verbot in seine Gemeinden Dickenschied und Womrath im Hunsrück zurück. Anschließend wurde er abermals in das Gefängnis der Geheimen Staatspolizei und schließlich noch im Jahr 1937 nach Weimar in das neu errichtete KZ Buchenwald verlegt.

Der Prediger von Buchenwald

Im KZ Buchenwald lehnte er es 1938 ab, beim Fahnenappell zu Hitlers Geburtstag, die Mütze abzunehmen, woraufhin er mit Stockschlägen bestraft wurde und in einer Einzelzelle inhaftiert wurde. Seitdem erlitt er nicht nur selbst schreckliche Misshandlungen, er erlebte auch unmittelbar die Einlieferungen der Juden in den „Bunker“ (Arrestzellenbau) sowie deren Ermordungen. All dem zum Trotz erhob der „Prediger von Buchenwald“ in dem unmenschlichen und verbrecherischen Chaos immer wieder lautstark seine Stimme. Dabei setzte er sich auch explizit für seine jüdischen Mitgefangenen ein. Aus seiner Zelle heraus sprach er zu den zehntausenden Menschen auf dem Appellplatz vor seinem Zellenfenster und rief Bibelworte hinaus, was nicht nur Christen sondern auch den Juden Trost spendete. Harte Bestrafungen waren die Folge, so wurde Schneider nach seinen Predigten „stets aus dem Arrest auf den Appellplatz gebracht und durchgepeitscht, bis das Blut durch die Kleider drang.“, wie es der politische Häftling Walter Poller, damals Arztschreiber, in einem späteren Bericht festhielt.

Eindringliche Schilderungen des Mutes von Paul Schneider inmitten der unmenschlichen Gräueltaten im Konzentrationslager geben uns heute zahlreiche Berichte von Mitgefangenen wie die des Juden Ernst Cramer oder die des katholischen Geistlichen Leonhard Steinwender:

Emil Cramer, jüdischer Häftling im KZ Buchenwald
„An diesem Abend haben wir, zumindest ich, zum ersten Mal eine laute Stimme gehört aus einem Gebäude, von dem wir keinerlei Ahnung hatten, was es war. Der Mann hat die Bergpredigt ganz laut gesagt und als er beim sechsten Punkt ‚Selig sind die, die um Gerechtigkeit willen leiden.‘ (war), da sprach hinter mir einer ganz leise: ‚Das kann kein Jude sein. Das muss jemand sein, für den die Bergpredigt etwas ganz Besonderes bedeutet‘– die übrigens eine der schönsten religiösen Stellen ist, die es in der Welt gibt. Wir wussten ja nicht, wer es war. Wir haben nur die Stimme gehört, und zwar immer wieder und immer die gleiche Stimme, natürlich unterbrochen durch Schmerzensschreie und Gebrüll von den SS-Leuten, das ist klar. Ich möchte sagen, dass diese christlichen Worte auch den Juden, die damals da waren, irgendwie eine Art Stärke gegeben haben.“ (4)

Leonhard Steinwender, katholischer Häftling im KZ Buchenwald
„Vor dem einstöckigen Bunkergebäude war der große Appellplatz, an dem sich die Häftlinge täglich morgens und abends zum Zählappell, meist verbunden mit allerlei Schindereien, einzufinden hatten. An den höchsten Festtagen ertönte während der Stille des Abzählens plötzlich die mächtige Stimme Pfarrer Schneiders durch die dumpfen Gitter des ebenerdigen Bunkers. Er hielt wie ein Prophet seine Festtagspredigt, das heißt, er versuchte sie zu beginnen. Am Ostersonntag zum Beispiel hörten wir plötzlich die mächtigen Worte: ‚So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!‘ Bis ins Innerste aufgewühlt durch den Mut und die Kraft dieses gewaltigen Willens standen die langen Reihen der Gefangenen. Es war, als hätte eine mahnende Stimme aus einer anderen Welt zu ihnen gerufen, als hörten wir die Stimme Johannes des Täufers aus den Kerkern des Herodes, die gewaltige Prophetenstimme des Rufenden in der Wüste.
Mehr als einige Sätze konnte er nie sprechen. Dann klatschten schon die Prügel der Bunkerwächter auf ihn nieder oder ein roher Faustschlag schmetterte seinen zermarterten Körper in eine Ecke des Bunkers. Mit seinem starken Willen und seiner unbeugsamen Härte wurde auch brutale Gewalt nicht fertig. Mehr als einmal schleuderte er dem gefürchteten Lagerkommandanten den furchtbaren Vorwurf in das Gesicht: ‚Sie sind ein Massenmörder! Ich klage Sie an vor dem Richterstuhle des ewigen Gottes! Ich klage Sie an des Mordes an diesen Häftlingen!‘ Und er zählte ihm die Namen der Opfer auf, die in den letzten Wochen ihr Leben lassen mussten.
Da man mit der granitenen Härte seiner Überzeugung nicht fertig werden konnte, stempelte man ihn zum Narren, den man durch Schläge zum Schweigen bringt. Über ein Jahr hatte er die Qualen des Bunkers getragen, bis auch seine Kraft der rohen Gewalt erlag. Keine heile Stelle war an seinem Körper, als man ihn tot aus dem Bunker trug. Die Todesnachricht wurde im ganzen Lager mit tiefer Bewegung aufgenommen.“ (5)

Der Leichnam Paul Schneiders wurde in einem Sarg siebenfach versiegelt und es wurde seiner Witwe Margarete Schneider verboten, ihn zu öffnen. Er durfte vor der Beisetzung auch nicht in die Kirche nach Dickenschied gebracht werden, sondern kam in die Kapelle des Krankenhauses in Simmern.

Am 21.7.1939 fand die Beerdigung Paul Schneiders in Dickenschied im Hunsrück statt. Durch hunderte Teilnehmer aus der Bevölkerung von Dickenschied und aus den Nachbarorten sowie etwa 200 Pfarrern aus allen Teilen des Reiches und intensiven und anerkennungsvollen Grabreden aus deren Reihen war die Beisetzung eine machtvolle Demonstration der Bekennenden Kirche und ein Dorn im Auge des NS-Regimes.

Performance von Dirk Baumanns zum Leben des NS-Widerstandskämpfers Paul Schneider

Performance von Dirk Baumanns zum Leben und zur Ermordung des NS-Widerstandskämpfers Paul Schneider im KZ Buchenwald

Performance von Dirk Baumanns

Dirk Baumanns ist ein deutscher international aktiver Performance-Künstler der sich in vielfältiger Weise mit deutscher Geschichte und Identität auseinandersetzt. Für „Auf Anfang!“ hat er eine besondere Performance zu der Geschichte des Pfarrers Paul Schneider konzipiert. Seine Performances leben davon „live“ und mitten unter den Menschen dargeboten zu werden. Nah am Publikum reißt er die Menschen mit seinen Inszenierungen in den Bann. Wie ein wandelndes Gemälde welches sich stetig verändert, schlüpft er in verschiedenste Rollen, indem er Gesicht und Körper bemalt, Kostümierungen und Szenen wechselt sowie dabei Musik, Licht und Umgebung in seine Bewegungen mit einfließen lässt. Die Inszenierung für „Auf Anfang!“ ist eine Reise durch die Eindrücke, Erfahrungen und den dramatischen Lebensverlauf von Paul Schneider während der NS-Diktatur, der schließlich mit der Ermordung im Konzentrationslager Buchenwald durch den Kerkermeister Martin Sommer sein trauriges Ende fand. Sommer, der auch als „Henker von Buchenwald“ bezeichnet wurde, wird als personifizierter Teufel dargestellt.

Zusätzlich fließen aktuelle Ereignisse des wieder aufkeimenden Faschismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft mit in die Performance ein.

Aus dem Mut und dem Widerstand Paul Schneiders schöpfend, bietet die umfangreiche zweiteilige Performance schließlich aber auch einen Ausblick auf eine bessere Welt!

Zitate von Paul Schneider:

„Wir haben uns diesen Kampf ja nicht ausgesucht, müssen ihn aber nun um des Evangeliums willen ausfechten.“  18.März 1935

„Wir können nicht alle mit unseren Überlebens-Kompromissen Hitler in seiner unrechten Gewaltherrschaft bestärken. Wenigstens einige müssen ihm mit letzter Entschiedenheit widerstehen.“   Juli 1937

„Sollte ich als kleinstes Pastörlein auf dem Hunsrück allein dem Staat bezeugen müssen, was recht ist?“ 31.Oktober 1937

„Das Verbrechersymbol grüße ich nicht!“ 20.April 1938

„So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben…“

„Meinen Körper könnt ihr töten, meinen Geist aber nicht.“

„Gebt die Juden frei; auch sie sind meine Brüder“ November 1938

„Sie sind ein Massenmörder. Ich klage sie an vor dem Richterstuhl Gottes.
Ich klage sie an des Mordes an diesen Häftlingen!“

„Harret aus, Brüder, in diesem Kampf. Gott gibt euch die Kraft  Vertraut auf ihn, nicht auf Hitler!“

Literaturempfehlung:
https://mahnmalkoblenz.de/PDF_AUF/Paul_Schneider.pdf

Quellen/Belege:

  1. (https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/todesopfer-rechter-gewalt/)
  2. https://www.volksverpetzer.de/recherche-afd/afd-neonazi-netzwerke-1985-2020/
  3. https://www.volksverpetzer.de/politik/arm-des-rechtsterrorismus/
  4. https://mahnmalkoblenz.de/PDF_AUF/Paul_Schneider.pdf
  5. http://www.literaturland-thueringen.de/artikel/literatur-aus-buchenwald/leonhard-steinwender-die-stimme-des-rufenden-in-der-wueste/

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